Execution

Warum Konzeptphasen dich mehr kosten als schlechte Systeme

Die gefährlichste Lüge der Softwareentwicklung

25. Januar 2025BRQD Team8 Min. Lesezeit

Drei Monate Konzeptphase. Stakeholder-Workshops. Requirements-Engineering. Architektur-Blueprints. Am Ende: 200 Seiten Dokumentation und kein einziges funktionierendes System. Die meisten nennen das "professionelles Vorgehen". Ich nenne es strukturierte Ressourcenverschwendung.

Die Logik klingt vernünftig: Je besser wir planen, desto weniger Fehler machen wir. Je mehr wir analysieren, desto sicherer die Entscheidung. Je länger wir evaluieren, desto geringer das Risiko. Das Problem: Diese Logik stammt aus einer Zeit, als Bauen teuer war und Denken billig.

KI hat diese Gleichung umgedreht. Heute ist Bauen billig geworden. Nicht billig im Sinne von "kostenlos", sondern billig im Verhältnis zum Wert der gewonnenen Erkenntnis. Ein funktionierender Prototyp nach drei Wochen sagt dir mehr über deine Idee als sechs Monate Konzeptarbeit. Nicht weil Konzepte nutzlos sind, sondern weil Realität lehrreicher ist als Spekulation.

Die Illusion der Risikominimierung

Hier ist, was in Konzeptphasen wirklich passiert: Du versuchst, durch intensives Nachdenken Unsicherheit zu eliminieren. Du sammelst Requirements von 15 Stakeholdern. Du erstellst Use-Case-Diagramme. Du definierst Schnittstellen für Systeme, die noch nicht existieren. Du planst für Szenarien, die vielleicht nie eintreten.

Das Gefühl ist: Je detaillierter der Plan, desto geringer das Risiko. Die Realität ist: Je detaillierter der Plan, desto größer die Illusion der Kontrolle. Denn Pläne basieren auf Annahmen. Und Annahmen über komplexe Systeme sind meistens falsch. Nicht weil die Planer inkompetent sind, sondern weil Komplexität sich nicht wegdenken lässt.

Das eigentliche Risiko ist nicht, ein suboptimales System zu bauen. Das eigentliche Risiko ist, sechs Monate zu investieren nur um herauszufinden, dass deine Grundannahme falsch war. Dass die Datenqualität nicht ausreicht. Dass die Performance nicht skaliert. Dass User das Interface anders nutzen als gedacht. All diese Erkenntnisse bekommst du nicht aus Workshops. Du bekommst sie aus funktionierenden Systemen.

Der versteckte Preis der Gründlichkeit

Opportunity Cost ist nicht abstrakt. Wenn du sechs Monate für Konzeption brauchst, ist dein Wettbewerber bereits sechs Monate produktiv. Nicht sechs Monate weiter im Denken. Sechs Monate weiter in der Realität.

Der Vorsprung misst sich nicht in besseren Plänen, sondern in echten Ergebnissen. Während du das perfekte Konzept entwickelst, iteriert die Konkurrenz am echten System. Jede Iteration bringt echte Erkenntnis. Jedes Konzept bleibt Theorie.

Von "Was könnte sein" zu "Was ist"

KI-gestützte Entwicklung verändert fundamental, wie schnell du von Idee zu funktionierendem System kommst. Was früher Wochen an Boilerplate-Code brauchte, generiert o3 in Minuten. Was früher Tage an Testing kostete, automatisiert Claude in Stunden. Was früher Monate an Integration verschlang, orchestriert moderne KI in Wochen.

Das bedeutet nicht, dass Planung überflüssig wird. Es bedeutet, dass das Verhältnis zwischen Planen und Bauen neu kalibriert werden muss. Wenn Bauen 10x schneller wird, sollte die Konzeptphase nicht gleich lang bleiben. Sie sollte 10x kürzer werden. Nicht aus Ungeduld, sondern aus ökonomischer Rationalität.

Konkret: Statt drei Monate zu konzipieren, dann sechs Monate zu entwickeln, konzipierst du eine Woche und baust drei Wochen einen Prototyp. Der Prototyp beantwortet die kritischen Fragen: Funktioniert die technische Grundannahme? Sind die Daten nutzbar? Ist die Performance akzeptabel? Zeigt das System Wert?

Diese Fragen lassen sich nicht konzipieren. Sie lassen sich nur testen. Und testen ist, was früher teuer war und heute erschwinglich geworden ist. Das zu ignorieren bedeutet, mit veralteten Kosten-Nutzen-Rechnungen zu operieren. Es ist, als würdest du im Jahr 2025 noch für Faxgeräte budgetieren.

Die neue Ökonomie der Unsicherheit

Hier ist die unbequeme Wahrheit: Unsicherheit lässt sich nicht wegdenken. Sie lässt sich nur auflösen durch Konfrontation mit Realität. Je früher du diese Konfrontation suchst, desto günstiger ist sie. Ein gescheiterter Prototyp nach vier Wochen kostet weniger als ein gescheitertes Projekt nach sechs Monaten Konzeption plus sechs Monaten Entwicklung.

Das bedeutet nicht "baue einfach drauflos". Es bedeutet: Verschiebe den Schwerpunkt von spekulativem Planen zu empirischem Validieren. Reduziere die Konzeptphase auf das absolut Notwendige. Dann baue schnell etwas, das deine kritischsten Annahmen testet. Scheitert der Test? Vier Wochen verloren. Besteht der Test? Du hast nicht nur Gewissheit, sondern bereits ein funktionierendes Fundament.

Die mathematische Realität ist brutal einfach: Wenn die Kosten des Bauens um Faktor 10 sinken, müssen auch die Kosten der Vorbereitung um Faktor 10 sinken. Sonst optimierst du das Falsche. Du optimierst Planung in einer Welt, wo Geschwindigkeit der Umsetzung den Unterschied macht.

Verwirklichung als strategisches Asset

Organisationen, die schneller von Idee zu funktionierendem System kommen, haben systematischen Wettbewerbsvorteil. Nicht weil ihre Systeme besser sind, sondern weil sie schneller lernen. Schnelleres Lernen bedeutet bessere Systeme über Zeit. Bessere Systeme über Zeit bedeuten Vorsprung, der sich akkumuliert.

Die Frage ist nicht: "Können wir uns leisten, ohne gründliche Konzeptphase zu starten?" Die Frage ist: "Können wir uns leisten, drei Monate mit Spekulation zu verbringen, während der Markt sich bewegt?"

Von Risiko-Vermeidung zu Risiko-Optimierung

Die meisten Konzeptphasen sind Risiko-Vermeidungstheater. Sie simulieren Kontrolle durch detaillierte Planung. Aber Kontrolle über ein noch nicht existierendes System ist Illusion. Echte Risiko-Optimierung sieht anders aus: Minimiere die Zeit bis zur ersten echten Konfrontation mit Realität.

Das bedeutet: Akzeptiere, dass dein erster Ansatz Fehler haben wird. Plane dafür, dass diese Fehler schnell sichtbar werden. Strukturiere deine Entwicklung so, dass Fehler billig zu korrigieren sind. Das ist nicht "quick and dirty". Das ist "quick and iterative". Es ist professionelles Software-Engineering im Jahr 2025, nicht 2005.

Konkret bedeutet das: Vier Wochen Prototyp mit deinen echten Daten. Nicht mit Demo-Daten, nicht mit synthetischen Szenarien. Mit dem Zeug, das dein Business tatsächlich verarbeiten muss. Der Prototyp beantwortet nicht alle Fragen. Er beantwortet die wichtigste Frage: "Funktioniert die Grundidee oder nicht?"

Funktioniert sie? Dann investierst du in Skalierung mit Gewissheit statt mit Hoffnung. Funktioniert sie nicht? Dann hast du vier Wochen verloren statt sechs Monate. Die Mathematik ist nicht kompliziert. Das Schwierige ist, eine Organisationskultur zu haben, die "bauen um zu lernen" höher schätzt als "planen um sich abzusichern".

Die neue Entscheider-Heuristik

Hier ist die Frage, die du dir stellen solltest, wenn das nächste Mal jemand eine dreimonatige Konzeptphase vorschlägt: "Können wir in der gleichen Zeit einen funktionierenden Prototyp bauen, der unsere kritischsten Annahmen testet?" Wenn die Antwort ja ist, ist die Konzeptphase Verschwendung. Wenn die Antwort nein ist, frag: "Warum nicht?"

Meistens ist die Antwort nicht technischer Natur. Sie ist kultureller Natur. "Wir müssen gründlich vorgehen." "Wir brauchen Buy-in von allen Stakeholdern." "Wir können nicht einfach was bauen ohne vollständige Spezifikation." Das sind keine technischen Constraints. Das sind organisatorische Gewohnheiten aus einer Zeit, als Bauen teuer war.

Die unbequeme Wahrheit ist: Diese Gewohnheiten schützen nicht vor Risiko. Sie schaffen Risiko. Das Risiko, zu langsam zu sein. Das Risiko, auf Basis veralteter Annahmen zu entscheiden. Das Risiko, Opportunitätskosten zu ignorieren, weil sie schwerer zu messen sind als Projektbudgets.

Die neue Heuristik ist radikal einfach: Minimiere die Zeit zwischen Idee und erstem funktionierendem System. Nicht auf Kosten der Qualität. Auf Kosten unnötiger Planungsschleifen. Qualität entsteht nicht durch längere Konzeptphasen. Sie entsteht durch schnellere Iterationszyklen an echten Systemen. KI macht diese Zyklen erschwinglich. Die Frage ist nur, wann deine Organisation aufhört, nach Regeln zu operieren, die für eine Welt geschrieben wurden, in der Bauen zehnmal teurer war als heute.

Tags: Rapid Prototyping KI-Entwicklung Agile Development Software-Strategie

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